physical vs. psychologic, haptic meets vision












Schauspiel, das sôô und das atomisierte Ich
Masken, Kleidung und Verdeckungen wärmen nicht nur, sie sind gesellschaftliche Identitätsmerkmale, die Zugehörigkeit, Individualität, Andersheit oder Protest ausdrücken. Kleidung und Masken bedeuten Verdeckung als Verstecken oder als Banner des Ausdrucks. In Einhorn No.3 ist es eher das Verstecken was den umgekehrten Ausdruck, den des Verneinens verkörpert, denn auch das Nein-Sagen schafft Identität. Jeder einzelne lernt das Sprechen, um aneignen und sich austauschen zu können, während er in einen Pool von Wahrnehmungsfeldern eingeführt wird. Die Sprache befähigt zu kommunizieren und sich über Erlebnisse, Phänomene und Erfahrungen auszutauschen. Die Sprache beschleunigt und detailliert daher die Entwicklung des Ichs. Kein Ich ist daher allein und verbindet sich stets mit anderen, um aus seiner Koexistenz zu fliehen und koexistierende Wahrnehmungsbilder mit anderen abzugleichen. Aus der Begegnung mit anderen entsteht ein Selbstbewusstsein, während zunächst aus sich heraus in die Welt gegangen werden muss um neue Erfahrungen zu machen und Abgleiche zu ermöglichen. Jeder Einzelne ist hierbei sein eigener Schauspieler beim Erbringen von Erfahrungen in einem interaktiven Spiel aus Phänomenen, Wahrnehmungen und Meinungen. Als einen ebensolchen Schauspieler erfahren sich die Erfahrenden hierbei selbst und ihre aktive performative Handlung wird selbst einer Reflexion unterzogen. Menschen in einer Gesellschaft, unabhängig in welcher sind gewissermaßen Kollaborateure, während die Form des Subjekts niemals festgelegt werden kann und sich dieses ständig in Bewegung befindet. Ein Bewusstsein für die eigene kollektive Identität wird hierbei mehr und mehr herausgebildet.
Nach Judith Butler sind wir daher Teil weltumspannender sozialer Netzwerke, während uns nicht zuletzt das Internet hierin einbindet. Der Individualismus scheint sich hierbei einer sozialen Form des Ich entgegen zu stellen, welches gesellschaftlich und historisch geformt ist. Das Sozial-werden des Individuums erfolgt hierbei durch seine Integration und der Einführung von Außerhalb nach Innerhalb. Diese Integration hat mit der Erfahrungserbringung und dem Abgleich von Eindrücken zu tun, sodass zu letztlich das soziale und gesellschaftliche Gefüge fähig ist unsere Gefühle und Wünsche zu bestimmen und zu formen. Menschen sind selbst in dem Moment, in dem sie Individualität behaupten weniger koexistierende, als soziale Wesen. Ihre Gesamtheit an Eindrücken und Wünschen formt sich aus dem Kollektiv an Begegnungen. Sowohl Butler, als auch Sartre sprechen bei der rückwirkenden Einbindung des Einzelnen in die Gesellschaft von der „Atomisierung“1 des Einzelnen, während es sich hierbei um einen sowohl sozialen, als auch historischen Prozess handelt, der das Individuum als solches reproduziert. In Verbindung mit der Queer-Theorie diskutiert Butler die gesellschaftliche Konstruktion des Ichs. Das Individuum selbst ist somit eine soziale Form, je mehr es sich in gesellschaftlichen Formen integriert hat. Ein totaler Individualismus oder In-sich-Geschlossenheit würden nach Butler verhindern, dass soziale Beziehungen, die wir zum Leben brauchen, die uns definieren und uns erlauben unsere soziale Existenz zu erkennen eingegangen
werden können.
Die Gesellschaft und Strukturen der Welt ermöglichen uns ein Leben und Wahrnehmen, wie wir es gewohnt sind. Hierbei erlernen wir Sichtweisen aus Erfahrungen und Erfahrungen anderer, die entscheident sind für ein Gesamtbild an Riten, Traditionen, Regelungen und anthropologischen Strukturen. Diese bedeuten hierbei Möglichkeiten und Freiheiten, wie sie ebenso auch als Einschränkungen wirken können. In der Kunst gilt es diese gewohnten Wahrnehmungsstrukturen bewusst, sichtbar und reflexiv werden zu lassen, um einen Weg für die Änderung des Gesamtbildes zu ermöglichen. Der Kunstschaffende handelt hierbei nicht autonom, während er sich vielmehr auf seine eigenen Erfahrungen im Abgleich mit anderen rückbezieht und sich nicht zuletzt in Kollektiven zusammenschließen kann. Von vornherein als kollaborative Künste gelten das Theater, die Oper und der Film, da sich hier Ensemble, Regisseur und Dramaturg die Aufgabengebiete untereinander aufteilen. Der Künstler ist hierbei alles in einem und schreibt, spielt, singt, spricht und baut das Bühnenbild selbst. Eine reflexive Kunstpraxis ist hierbei umso wichtiger und stellt das Medium heraus, während seine Strukturen und suggestiven Mittel aufgedeckt werden können. Als eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft vermittelt die Kunst, anstelle des Künstlers unterschiedliche Standpunkte und Lebensweisen, Ideen und Gefühle zu spezifischen Themen, während sie hierbei nicht nur einen frontalen Eindruck vermittelt, sondern erleben lässt und eigene Erfahrungen möglich macht. Das Kunstwerk vereint sich geradezu harmonisch mit dem Rezipienten und übersteigt so die „Möglichkeiten bewusster Reflexion“, um eine „Wahrheit präsent“ zu machen, „die zu denken, das Denken an seine Grenzen stoßen lässt“2.
Masken, Kostüme, Kleidung und Schminke entstammen nicht zuletzt dem Theater, welches als Schaubühne der Gesellschaft beginnt sich ins Publikum zu öffnen. Nicht zuletzt die Kunst erst ist jedoch in der Lage den Rezipienten zum tatsächlichen Akteur zu bestimmen und ihm die eigene schauspielerische Leistung in seinem Leben bewusst werden zu lassen. Er beginnt seine Verantwortung sich selbst und der Welt gegenüber zu reflektieren und wird sich seiner individuell konzipierten Rolle bewusst. Jean-Francoise Lyotard beschäftigt sich in seinen Untersuchungen mit der Entwicklung und Öffnung des Theaters und der Vision des Theaters sich des sogenannten „sôô“3 zu entledigen, welches eine Übereinstimmung von Tanz, Musik, Mimik, Wort, Jahreszeit, Stunde, Publikum und Nichts bedeutet. Das Theater treibt hierbei eine Annäherung an das energetischen Theater, welches eine Unabhängigkeit oder Gleichzeitigkeit der Töne und Geräusche, der Wörter, der Körper-Figuren und Bilder ermöglicht. So werden die Formen des Theaters denen der Kunst angelehnt und die der Kunst vielfach auch dem des Theaters. Die Kunst geht dazu über sich in vielerlei gesellschaftliche Bereiche aufzulösen und gewisse Formen kommentierend zu annektieren. Die Semiotik der gesellschaftlichen Formen wird aufgegriffen und verändert, sodass sich Spiele mit der Wahrnehmung ergeben. Hierbei kommt es beim Rezeptions-Vorgang zur Entfremdung des Gewohnten und das Verhältnis von angenommener Wahrheit und Illusion wird ausgehoben, ebenso wie das von Ursache und Wirkung, von Signifikant und Signifikat und die Koexistenz als Übergangsbesetzungen derselben wird bewusst. Das ehemals angenommene Koexistierende wird als eine zufällige Konstellation eines Augenblicks bewusst.
1Lyotard, Jean-Francoise, Essays zu einer affirmativen Ästhetik“, 1980, S.21
2Bubner, Rüdiger, „Ästhetische Erfahrung“, 1989, S.12
3Vgl. Sartre, Jean-Paul, „Kritik der dialektischen Vernunft“, 1960; Butler, Judith, „Das Unbehagen der Geschlechter“, 1991





acting, the sôô and the atomized I
Masks, clothing and coverings not only keep you warm, they are signs of social identity that express belonging, individuality, otherness or protest. Clothing and masks signify concealment as hiding or as banners of expression. In Einhorn No.3 it is more hiding which embodies the opposite expression, that of denying, because saying no also creates identity. Each individual learns to speak in order to appropriate and exchange while being introduced to a pool of perceptual fields. The language enables to communicate and to exchange experiences, phenomena and experiences. Language therefore accelerates and details the development of the ego. No ego is therefore alone and always connects with others in order to escape from its coexistence and to compare coexisting perceptual images with others. Self-confidence arises from encounters with others, while you first have to go out into the world to make new experiences and make comparisons possible. Each individual is their own actor in creating experiences in an interactive game of phenomena, perceptions and opinions. The experiencers experience themselves as just such an actor and their active performative action is itself subjected to reflection. People in any society, whatever they are, are in a sense collaborators, while the form of the subject can never be fixed and it is constantly in motion. An awareness of one’s own collective identity is being developed more and more.
According to Judith Butler, we are therefore part of global social networks, while not least the Internet integrates us into them. Individualism seems to oppose a social form of the ego, which is socially and historically formed. The social becoming of the individual takes place through his integration and the introduction from outside to inside. This integration has to do with the provision of experience and the comparison of impressions, so that ultimately the social and societal structure is able to determine and shape our feelings and desires. Human beings, even in the moment they assert individuality, are less coexisting than social beings. Your entirety of impressions and wishes is formed from the collective of encounters. Both Butler and Sartre speak of the „atomization“1 of the individual’s retrospective integration into society, while this is both a social and historical process that reproduces the individual as such. In connection with queer theory, Butler discusses the societal construction of the ego. The individual itself is thus a social form, the more it has integrated itself into social forms. According to Butler, total individualism or self-containment would prevent the social relationships that we need to live, that define us and allow us to recognize our social existence.
The society and structures of the world enable us to live and perceive as we are used to. Here we learn perspectives from the experiences of others, which are decisive for an overall picture of rites, traditions, regulations and anthropological structures. These mean possibilities and freedoms, as they can also act as restrictions. In art, it is important to make these familiar structures of perception conscious, visible and reflective in order to enable a way to change the overall picture. The artist does not act autonomously here, while he rather refers back to his own experiences in comparison with others and, last but not least, can join forces in collectives. Theater, opera and film are considered to be collaborative arts from the outset, since the ensemble, director and dramaturge share the areas of responsibility here. The artist is everything in one and writes, acts, sings, speaks and builds the set himself. A reflective art practice is all the more important here and emphasizes the medium, while its structures and suggestive means can be uncovered. As an interface between science and society, art, instead of the artist, conveys different points of view and ways of life, ideas and feelings on specific topics, while not only conveying a frontal impression, but also allowing people to experience them and making their own experiences possible. The work of art unites almost harmoniously with the recipient and thus exceeds the „possibilities of conscious reflection“ in order to make a „truth present“, „which, to think, pushes thinking to its limits“2.
Masks, costumes, clothing and make-up come not least from the theatre, which, as a stage for society, is beginning to open up to the public. Last but not least, it is art that is able to determine the recipient as the actual actor and to make him aware of his own acting achievements in his life. He begins to reflect on his responsibility towards himself and the world and becomes aware of his individually designed role. In his investigations, Jean-Francoise Lyotard deals with the development and opening of theater and the theater’s vision of getting rid of the so-called „sôô“3, which is a coincidence of dance, music, facial expressions, words, seasons, hours, audience and nothing means. The theater drives an approach to the energetic theater, which enables an independence or simultaneity of the tones and noises, the words, the body figures and images. Thus the forms of theater are based on those of art and those of art in many cases also on those of theatre. Art tends to dissolve into various social areas and to annex certain forms with comments. The semiotics of social forms are taken up and changed, resulting in games with perception. During the process of reception, the familiar becomes alienated and the relationship between assumed truth and illusion is eliminated, as is that of cause and effect, of signifier and signified, and the coexistence as transitional occupations of the same becomes conscious. The formerly assumed coexistence becomes conscious as a random constellation of a moment.
1Cf. Sartre, Jean-Paul, „Critique of Dialectical Reason“, 1960; Butler, Judith, „The Discomfort of the Genders“, 1991
2Bubner, Rüdiger, „Aesthetic Experience“, 1989, p.12
3Cf. Sartre, Jean-Paul, „Critique of Dialectical Reason“, 1960; Butler, Judith, „The Discomfort of the Sexes“, 1991


























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