GRH

„Die Photographie ist nicht klassifizierbar, weil es keinerlei Grund gibt, diesen oder jenen Fall ihres Auftretens zu markieren, sie würde vielleicht gern ebenso mächtig, so sicher, so erhaben wie ein Zeichen werden, um so zur Würde einer Sprache aufsteigen zu können; doch um ein Zeichen zu schaffen, bedarf es einer Markierung; bar eines solchen Prinzips, sind Photographien Zeichen, die nicht richtig abbinden, die gerinnen wie Milch. Was immer ein Photo dem Auge zeigt und wie immer es gestaltet sein mag, es ist doch allemal unsichtbar: es ist nicht das Photo, das man sieht.“ Roland Barthes, „Die helle Kammer“, 1989

„Die Photographie wurde und wird immer noch vom Gespenst der Malerei heimgesucht; sie hat die Malerei, indem sie diese kopierte oder in Frage stellte, zur absoluten zur väterlichen Referenz gemacht, so als wäre sie aus dem Gemälde hervorgegangen […]. Im eidetischen Sinne unterscheidet sich […] eine Photographie, so realistisch sie auch sein mag, in nichts von einem Gemälde.“ Roland Barthes, „Die helle Kammer“, 1989, S.40

GRH (meets Photography)

Es gibt wohl kaum ein künstlerisches Medium, welches mehr den Übertritt in die Gebrauchskunst- und Medienwelt markiert als die Fotografie. Die Fotografie ist ein vieldiskutiertes Medium, weil sie zunächst einmal nur die Wirklichkeit abzubilden scheint, wie sie ist und keinen Spielraum für künstlerische Eingriffe zulässt. Hierin scheint uns Roland Barthes zu bestätigen, wenn er sagt: „Da die Photographie reine Kontingenz ist und nur dies sein kann (Es ist immer ein etwas, was abgebildet wird) – im Gegensatz zum Text, der durch die plötzliche Wirkung des einzigen Worts einen Satz von der Beschreibung zur Reflexion übergehen lassen kann – so liefert sie auf der Stelle jene Details, die das Ausgangsmaterial des ethnologischen Wissens bilden“ (Barthes, Roland „Die Helle Kammer – Bemerkungen zur Photographie“, 1989, S.38). Es ist jedoch aus künstlerischer Sicht ein wertvolles Ziel das Medium der Fotografie immer wieder in Frage zu stellen und neu zu formulieren. Bei allen technischen Aspekten, die die Fotografie mit sich bringt, bleibt die Fotografie bei sich selbst und ist, wie andere künstlerische Medien Teil der zeitgenössischen Entwicklungen. Aufgrund ihrer medialen Abhängigkeit bietet sie im Gegenteil besonders bei einem fundierten Verständnis der abbildenden Vorgänge einige Möglichkeiten zu Variationen und daher zum künstlerischen Eingriff und bildet nicht ausschließlich ein dokumentarisches Medium. „In technischer Hinsicht steht die Photographie am Kreuzweg zweier vollkommen verschiedener Prozesse, der eine ist chemischer Natur: die Entwicklung des Lichts auf bestimmte Substanzen, der andere ist physikalischer Art: die Entstehung des Bildes mittels einer optischen Vorrichtung“ (Barthes, Roland, „Die Helle Kammer – Bemerkungen zur Photographie“, 1989, S.18) Barthes meint mit letzterem die Rezeption des Betrachters, die ein zentrales Anliegen postmoderner und gegenwärtiger Kunst geworden ist und aus dem Diskurs der rezeptionsästhetischen Moderne nicht mehr wegzudenken ist, so auch nicht aus dem Diskurs der Fotografie. Hier, wie auch bei anderen Medien, wie dem Text, der Malerei oder Skulptur entscheidet der Anwender selbst über die Aussageweise des Mediums und ist frei in seinen Möglichkeiten.

Die Künstlerin Simone Thünemann aus Münster versteht die Fotografie, ebenso wie die Collage und die Installation als ihr künstlerisches Medium und vereint mitunter alles miteinander. Sie stellt einen theoretischen Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Medienformaten her und beschäftigt sich nebenbei mit der Bedeutung von übereinanderliegenden Schichten, die das darunter liegende an ausgewählten oder zufälligen Stellen freigeben. Die Künstlerin arbeitet im Medium der Doppelbelichtung bei ihrer Fotografie und erzeugt so auch hier den Eindruck von verschiedenen Schichten in einem Bild, da Teile mehrerer Aufnahmen zugleich zu sehen sind. Es ergeben sich so Kombinationen von Formen und Farben, die den Bereich des Realen verlassen. Die Papierarbeiten annektieren dieses Prinzip gewissermaßen und verbinden verschiedenste Motive miteinander, während sie zugleich an das Aussehen einer Plakatwand erinnern, die stets Altes gegen Neues austauscht. Thünemann verbindet mit ihrer speziellen Formgebung, die sich jeweils unterschiedlich ereignet, einmal zufällig und einmal durch gezieltes auswählen einen spezifischen kritischen Gehalt, der sich gegen die ständige Suggestion der Werbewelt einer hochtechnisierten und kapitalistischen Warenwelt richtet. Die realgetreue Abbildung wird hier zum Mittel der Suggestion auf einer Oberfläche, wie einer Plakatwand und die Vermischungstechnik zu etwas, wie dem Gegenteil, während darunterliegendes nicht verleumdet und stattdessen sichtbar gemacht wird.

Thünemann verschreibt sich wie auch andere Künstlerinnen und Künstler ihrer jungen Generation einem postavantgardistischen Diskurs, bei dem es stets gilt altes stehengebliebenes gegen neues einzutauschen und alte Prinzipien nicht nur anzueignen, sondern zu überdenken. Die Aneignung des Gebrauchsmediums der Fotografie erscheint in diesem Zusammenhang als besonders wertvoll, da das Medium der Fotografie in der Kunst häufig kritisch betrachtet wird und aus dem Diskurs der Moderne und Postmoderne beinahe vertrieben wurde. Es gilt somit das Medium der Fotografie in seinen Qualitäten zu erforschen und neue Parallelen zu ziehen, die sich nicht nur auf Film, Theater und Performance beschränken müssen, sondern ebenso auch in der Collage und der alltäglichen Werbewelt wiedergefunden werden können. Mit ihrer Installation GRH eignet sich Thünemann die Ausdrucksweisen der Werbewelt an, um sie verändert zu reformulieren und dessen Strategien aufzudecken. Hierbei thematisiert sie Sehgewohnheiten und macht durch das Aufbrechen des Wiedererkennbaren auf diese aufmerksam. Ihre Formgebung irritiert die Wahrnehmung und spricht den diffusen Blick des Alltags an, der alles unvermittelt aus der Gewohnheit erkennt und für nichts einen genaueren aufmerksamen Blick mehr hat. Thünemann versucht diese Gewohnheit aufzubrechen und ein neues aufmerksameres Sehen zu erzeugen, was sich mit unvoreingenommenem Blick seiner alltäglichen Umwelt widmen kann.

GRH, Installation, großformatige Drucke, 2021